Der Leseratz

Lesen oder fressen - das ist hier die Frage!

REZENSION • THRILLER

Simon Beckett - Die Verlorenen

18. August 2021

Simon Beckett ist für Krimi- und Thriller-Fans wohl schon ziemlich lange kein Unbekannter mehr. Ich erinnere mich, vor vielen Jahren einmal den Auftakt zu seiner "Hunter"-Reihe gelesen zu haben, nur konnte mich das Buch damals sprachlich nicht so sehr begeistern, als dass ich dabei bleiben wollte. Jetzt startet Beckett eine neue Reihe rund um den Polizisten Jonah Colley, die in der Hörbuchfassung mit einem meiner Lieblingssprecher aufwartet - und da konnte ich dann doch nicht nein sagen :).

Zum Inhalt

Jonah Colley ist Angehöriger einer Spezialeinheit der Londoner Polizei und seit 16 Jahren im Dienst. Als er bei einem Bier mit seinen Kollegen einen Anruf seines früheren Freundes Gavin McKinney bekommt, geraten die Ereignisse ins Rollen. Denn Gavin bestellt ihn zu einem Treffpunkt in einer verlassenen Lagerhalle am Slaughter Quay.

Obwohl sich Jonah und Gavin vor zehn Jahren aus den Augen verloren haben, beschließt Jonah, zu dem Treffpunkt zu fahren. Vor Ort allerdings erwartet ihn das Grauen, denn er findet neben seinem niedergeschlagenen Freund drei weitere Tote. Als er sie näher untersucht, stellt er fest, dass eine davon, eine Frau, noch am Leben ist. Als er Hilfe holen wird, wird er allerdings von einem Unbekannten überwältigt und verliert das Bewusstsein.

"Als Jonah das Blut roch, war ihm klar, dass er in Schwierigkeiten steckte."
Buchbeginn

Als er wieder zu sich kommt, findet er sich im Krankenhaus wieder und muss seinen ermittelnden Kollegen Rede und Antwort zu den Vorfällen stehen. Jonah merkt schon bald, dass seinen Schilderungen niemand Glauben schenkt, deswegen nimmt er kurzerhand die Ermittlungen in die eigene Hand - und schon bald wird es für ihn deutlich persönlicher als gedacht, da die Ereignisse der Gegenwart aus irgendeinem ihm noch unbekannten Grund mit den Ereignissen der Vergangenheit, als sein kleiner Sohn Theo verschwunden ist, zusammenhängen ...

Meine Meinung

Jonah Colley wird zu Beginn der Geschichte als erfahrener Polizist vorgestellt, den allerdings das Verschwinden seines Sohnes vor zehn Jahren innerlich aus der Bahn geworfen hat. Zu Beginn weiß man als Leser:in noch nicht viel mehr als das, aber der Autor enthüllt mit Hilfe verschiedener Flashbacks in die Vergangenheit, was damals wirklich geschehen ist. Die entsprechenden Kapitel nehmen in der Geschichte also recht viel Raum ein.

Ausgelöst werden diese Erinnerungen dadurch, weil Jonah in der Gegenwart gezwungen ist, darüber mit verschiedenen Personen zu sprechen: Seien es die Entwickler, die ihn immer wieder verhören, oder seien es Freunde und Bekannte von damals, zu denen Jonah den Kontakt sucht, um die Ereignisse der Gegenwart aufzuklären.

"Am Ende sagte Gavin etwas, das noch jahrelang in Jonahs Erinnerung nachhallen würde: 'Wir finden ihn. Ich verspreche dir, ich tue alles, was nötig ist.'"
Gavin zu Jonah - ca. 14 %

Aus diesem Grund schwankt das Tempo der Geschichte etwas. Es wird zwar klar, wo die Zusammenhänge liegen, der Lösung des Rätsel kommt man allerdings nur sehr langsam näher, da sich Jonahs Ermittlungen die längste Zeit nur in eine bestimmte Richtung entwickeln. Vieles bleibt im Dunkeln, nicht zuletzt deswegen, weil ich Jonahs Vorgehensweise oft nicht nachvollziehen konnte. Zeitweise ist ihm sogar bewusst, dass er bestimmte Dinge nicht tun sollte, aber er macht sie trotzdem?

Dies ist aber nur ein Vorgeschmack auf die Menge an Thriller-Klischees, die der Autor hier aus der Reserve geholt hat. Vor allem bei der Charakterisierung der Figuren hatte ich einige Mal das Gefühl, dass ich das in der einen oder anderen Form schon in anderen Thrillern gelesen hatte ... Damit wirkten einige der Nebenfiguren eher blass und sehr schablonenhaft, in denen ich sonst zum Teil durchaus Potenzial gesehen habe.

"[...] der Dicke sah aus wie ein typischer Ex-Bulle, und Marie kannte ihn offensichtlich. Wäre er kein Freund von Gavin gewesen, wäre er nicht anwesend."
ca 27 %

Echte Spannung kam für mich eigentlich erst im letzten Viertel auf. Gleichzeitig passierte allerdings etwas, was mich so richtig innehalten ließ. Kann das wirklich soooo passieren?? Meiner Meinung nach wurde hier jedenfalls ein ganz gewaltiges Plot-Hole aufgerissen, was gegen Ende nur unzureichend erklärt wird.

Aus Spoiler-Gründen kann ich leider nicht darauf eingehen, aber wer das Buch gelesen hat, wird wissen, was ich meine, wenn ich sage, dass dies mit einer ganz bestimmten Figur zusammenhängt. Gleichzeitig bleibt einiges offen, das vermutlich erst in den zukünftigen Bänden weiter aufgeklärt werden wird, man sollte sich also als Leser:in drauf einstellen, dass einige Fragen in diesem Buch keine Antwort erhalten.

Zum Hörbuch

Die Hörbuchfassung wird wie seit einigen Jahren üblich wieder von Johannes Steck gelesen, der es wie immer meisterhaft versteht, den einzelnen Figuren eigene Stimmen zu verleihen. In diesem Kontext trägt seine Lesung sehr gut dazu bei, einzelne Personen gut zu erkennen, ehe in der Geschichte darauf hingewiesen wird, wer gerade spricht. Das Finale ist nicht zuletzt dank ihm wirklich sehr spannend geraten, seine Stimme zieht einen ruckzuck durch diese etwas mehr als 10 Stunden Hörbuch.

Wobei ich der Vollständigkeit halber noch darauf hinweisen möchte, dass es auch hier wieder zwei verschiedene Fassungen gibt, eine gekürzte und eine ungekürzte Fassung. Letztere dauert etwas mehr als 11 Stunden, ist also eine gute Stunde länger als die gekürzte Fassung. Ich habe die gekürzte Fassung gehört, kann also nicht sagen, wie viel wirklich geschnitten wurde, aber mir sind keine gröberen Schnitzer aufgefallen.

Mein Fazit

"Die Verlorenen" ist in meinen Augen ein etwas durchwachsener Auftakt für diese Reihe um Jonah Colley, über den man als Leser:in zwar einiges erfährt, allerdings auf Kosten einer stimmig erzählten Geschichte. Das Hörbuch wird wie immer exzellent von Johannes Steck gelesen und verdient sich dadurch einen dritten Stern.

  • ★★★☆☆
  • Hörbuch (gekürzt)
  • 619 Minuten
  • Argon Verlag
  • 978-3839818503