Der Leseratz

Lesen oder fressen - das ist hier die Frage!

REZENSION • JUGEND, THRILLER

Ursula Poznanski - Shelter

12. Dezember 2021

Wenn man sich seit einiger Zeit auf etwas verlassen kann, dann das, dass es im Sommer wieder etwas Neues für Jugendliche von Ursula Poznanski zu lesen gibt. Wobei ich ja sicher nicht die einzige bin, die mittlerweile ihre Jugendbücher fast lieber liest als ihre Bücher für Erwachsene. Denn: Die Autorin beherrscht es meistens wie kaum jemand sonst, einen schon nach den ersten Seiten so in ihre Geschichte zu ziehen, dass es schwerfällt, das Buch zur Seite zu legen. Wobei ich schon sagen muss, dass bei mir bei "Cryptos" dieses Mal nicht ganz so eine starke Sogwirkung eingesetzt hat, wie ich es von früheren Büchern kenne.

Man kann sagen, was man will - aber Ursula Poznanski ist dieses Jahr wirklich sehr fleißig gewesen. Erst der dritte und abschließende Band der "Vanitas"-Reihe, dann die Kurzgeschichte "Blutkristalle" und jetzt noch "Shelter" - da hatte ich als Poznanski-Fan einigen neuen Lesestoff! "Shelter" ragt aber zumindest äußerlich auf jeden Fall aus dieser Riege heraus. Das Cover ist dieses Mal wirklich eine Augenweide, die gesamte Schrift und die Linien schimmern je nach Lichteinfall in einer Mischung aus Kupfer und Gold.

Der Klappentext

Die Idee war völlig verrückt und sie wären niemals darauf gekommen, wenn die Party nicht so aus dem Ruder gelaufen wäre. Aus einer Katerlaune heraus erfinden Benny und seine Freunde eine irre Geschichte über außerirdische Besucher und verbreiten sie im Internet. Gespannt wartet die Clique ab, was passiert. Zu ihrer eigenen Überraschung nehmen immer mehr Menschen die Sache für bare Münze und Bennys Versuche, alles aufzuklären, bringen ihn schon bald in Lebensgefahr.

Was, wenn du dir eine völlig absurde Geschichte ausdenkst, sie zum Spaß in die Welt setzt und plötzlich glauben alle daran? Ein schockierender Thriller über einen Streich, der zur verwirrenden Realität wird.

Meine Meinung

Die Autorin ist nach über zehn Jahren in dem Bereich wirklich schon eine alte Häsin. Das erkennt man schon nach den ersten Seiten, denn die Geschichte nimmt sehr zügig Fahrt auf. Schon nach den ersten Seiten ist die Verschwörungstheorie im Internet in die Welt gesetzt, sind die ersten geheimnisvollen OC-Symbole (das Motiv vom Cover) in der unmittelbaren Umgebung an Wände gesprüht - und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

"Ich würde diesen Leuten gerne Beweise vor die Nase halten, die so klar sind, dass sie nichts dagegen sagen können. Aber genau das ist das Problem, die Wahrheit ist denen zu langweilig und kompliziert, Tatsachen interessieren sie nicht."
S. 10

Nach "Aquila" ist "Shelter" das zweite Buch, wo Poznanski auf etwas ältere Figuren setzt, die bereits die Schule hinter sich und ein Studium angefangen haben. War es bei "Aquila" allerdings noch eine Heldin, setzt die Autorin hier auf einen jungen Mann namens Benny, der offensichtlich eine Erinnerung an ein sehr unangenehmes Erlebnis mit sich herumträgt.

Benny charakterisiert sich nach und nach immer mehr zur Hauptfigur heraus, denn er ist es, der mit den Sheltern, den Anhängern ihrer Verschwörungstheorie, am häufigsten in Kontakt kommt und so zu einem Feind der Shelters wird. Als dann auch noch ein weiterer, unbekannter "Mitspieler" namens Octavio auftaucht und die Führung der Shelters übernimmt, ist es mit dem Frieden endgültig vorbei. Octavio verfolgt offensichtlich mit Hilfe der Shelters ganz eigene Ziele, das bekommen Benny und seine Freunde in der WG immer deutlicher zu spüren.

Wer schon das eine oder andere Jugendbuch von Ursula Poznanski gelesen hat, wird dieses Setting wiedererkennen. Schon in "Erebos" hat die Autorin mit diesem Motiv gespielt, dass der Protagonist zwar in die Geschichte eingebunden ist, die Bedrohung aber anfangs nur erahnen und nicht wirklich greifen kann. So auch hier. Diesen gewissen Suspense konnte ich vor allem im ersten Drittel sehr deutlich spüren, er lies mich die ersten Seiten mehr oder weniger inhalieren.

"Wir haben die Wahnsinnigen aus ihren Löchern gelockt, und sie werden erst zurückkriechen, wenn ohne Zweifel feststeht, dass sie reingelegt worden sind."
S. 122

Dann passierte allerdings etwas für mich völlig Ungewohntes, das ich zunächst nicht mal benennen konnte. Ich legte das Buch zur Seite - und spürte nicht mehr dieses unbedingte Verlangen, sofort weiterlesen zu wollen. Nahm ich das Buch dann aber doch zur Hand, um darin weiterzulesen, hatte ich keine Probleme, drei oder vier Kapitel am Stück zu lesen.

Jetzt im Nachhinein würde ich sagen, ich bin quasi aus der Geschichte "herausgefallen", es interessierte mich auf einmal nicht mehr zu verfolgen, was denn nun weiter geschehen würde. Habe ich vielleicht schon zu viele Bücher der Autorin gelesen? Ich weiß es nicht. Fakt ist jedenfalls, dass ich mich vor allem in der Mitte des Buchs dabei ertappt habe, dass ich mir dachte, wann passiert endlich wieder etwas Interessantes, wann wird Benny aktiv und reagiert nicht nur ...

Im letzten Drittel nahm die Geschichte dann endlich den bisher vermissten Schwung auf, für meinen Geschmack aber viel zu spät. Die Auflösung konnte mich dann leider auch nicht mehr befriedigen. Das Finale war zwar spannend zu lesen, keine Frage, aber ich habe mich die ganze Zeit dabei gefragt, ob man das Problem nicht auch anders - statt auf diesem etwas umständlichen Weg - hätte lösen können.

Zum Hörbuch

Ab der Mitte des Buchs etwa habe ich einzelne Passagen gehört, um mit der Geschichte zumindest hörend weiterzukommen. Jens Wawrczeck dürfte den meisten ja durch seine Tätigkeit bei den "???"-Hörspielen bekannt sein, ich finde ihn aber auch als Sprecher von Poznanskis Jugendbüchern einfach klasse. Gerade die Szenen, wo Benny sein ganzes schauspielerisches Können aufbieten muss, um aus brenzligen Situationen zu entkommen, liest er mit veränderter Stimme einfach nur großartig! Jetzt im Nachhinein denke ich mir, ich hätte mir gleich das Hörbuch besorgen sollen ...

Mein Fazit

Ich habe lange mit mir gehadert, wie ich "Shelter" bewerten soll. Am Ende werden es für mich leider nur drei Sterne, es reicht für mich einfach nicht für mehr. Alleine dass ich als Fan fast eineinhalb Wochen für das Buch gebraucht habe, sagt schon einiges aus, normalerweise lese ich Poznanskis Bücher für gewöhnlich in der Hälfte der Zeit ...

  • ★★★☆☆
  • Hardcover
  • 432 Seiten
  • Loewe
  • 978-3743200517